Wettermodelle im Detail: ECMWF IFS, ICON, AROME und GFS verstehen

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Moderne Wettervorhersagen basieren auf komplexen numerischen Modellen, die die Atmosphäre in Millionen von Gitterzellen unterteilen und physikalische Gleichungen lösen. Doch was unterscheidet ECMWF IFS von ICON D2 oder AROME von GFS? Dieser umfassende Leitfaden erklärt die technischen Grundlagen, Berechnungsmethoden und praktischen Unterschiede der wichtigsten Wettermodelle, die auf Tauernwetter verfügbar sind.

Grundlagen: Wie funktioniert ein Wettermodell?

Ein numerisches Wettermodell ist im Kern ein gigantisches Computerprogramm, das die physikalischen Gesetze der Atmosphäre mathematisch beschreibt und in die Zukunft rechnet. Die Atmosphäre wird dabei in ein dreidimensionales Gitter unterteilt - horizontal in Gitterzellen und vertikal in Schichten. Für jede dieser Zellen werden Temperatur, Luftdruck, Feuchtigkeit, Windgeschwindigkeit und weitere Parameter berechnet.

Die Grundlage bilden die sogenannten Navier-Stokes-Gleichungen, die die Bewegung von Fluiden beschreiben, ergänzt durch die Thermodynamik und Strahlungsgesetze. Diese partiellen Differentialgleichungen sind so komplex, dass sie nur numerisch gelöst werden können. Moderne Supercomputer berechnen dabei für jeden Zeitschritt (typischerweise 20 Sekunden bis 2 Minuten) die Veränderung aller Parameter in jeder Gitterzelle - eine Aufgabe, die Billiarden von Rechenschritten erfordert.

Technischer Hintergrund: Die horizontale Auflösung eines Modells bestimmt, wie klein die einzelnen Gitterzellen sind. Ein Modell mit 2 km Auflösung unterteilt beispielsweise Kärnten in etwa 2.500 Gitterzellen. Vertikal verwenden die meisten Modelle 60 bis 137 Schichten bis in 50-80 km Höhe.

ECMWF IFS - Der Goldstandard der Mittelfristvorhersage

Das Integrated Forecasting System (IFS) des Europäischen Zentrums für mittelfristige Wettervorhersage in Reading (UK) gilt als das weltweit führende globale Wettermodell. Mit einer spektralen Auflösung von T1279 (entspricht etwa 9 km) und 137 vertikalen Schichten erfasst es die globale Zirkulation mit beeindruckender Präzision. Das Modell wird viermal täglich berechnet: Die Hauptläufe um 00 und 12 UTC reichen 240 Stunden in die Zukunft, die Zwischenläufe um 06 und 18 UTC liefern 144-Stunden-Vorhersagen.

Das IFS nutzt eine besondere mathematische Methode: die spektrale Transformation. Dabei werden die atmosphärischen Felder nicht nur im Gitterraum, sondern auch als Überlagerung von Wellen (sogenannte sphärische Harmonische) dargestellt. Diese Methode ist besonders effizient für die Berechnung großräumiger Strömungen und reduziert numerische Fehler. Der Nachteil: Die spektrale Methode eignet sich weniger für hochauflösende regionale Modelle.

Eine Besonderheit des IFS ist die ausgeklügelte Datenassimilation mittels 4D-Var (vierdimensionale Variationsanalyse). Dabei werden Millionen von Beobachtungen - von Bodenstationen, Radiosonden, Satelliten, Flugzeugen und Schiffen - optimal mit der vorherigen Vorhersage kombiniert. Das System berücksichtigt dabei die zeitliche Entwicklung während des 12-stündigen Assimilationsfensters, wodurch auch Beobachtungen, die nicht genau zum Analysezeitpunkt vorliegen, optimal genutzt werden können.

IFS Stärken:

  • Beste Vorhersagequalität für Tag 3-10
  • Exzellente Erfassung von Tiefdruckzugbahnen
  • Sehr stabile und konsistente Vorhersagen
  • 51 Ensemble-Mitglieder für Unsicherheitsabschätzung

IFS Schwächen:

  • Grobe Auflösung für lokale Phänomene
  • Unterschätzt systematisch Stauniederschläge
  • Täler unter 20 km Breite nicht aufgelöst
  • Vorhersagedauer variiert je nach Laufzeit (240h oder 144h)

ICON - Das deutsche Multitalent

Das ICOsahedral Non-hydrostatic Model (ICON) des Deutschen Wetterdienstes (DWD) repräsentiert die neueste Generation numerischer Wettermodelle. Der Name verrät bereits zwei zentrale Eigenschaften: Das Modell verwendet ein ikosaedrisches Gitter (basierend auf Dreiecken statt Vierecken) und löst die vollständigen, nicht-hydrostatischen Gleichungen.

Die ikosaedrische Gitterstruktur ist eine elegante Lösung für das "Polproblem" traditioneller Längen-Breiten-Gitter, bei denen die Gitterzellen zu den Polen hin immer kleiner werden. Das Dreiecksgitter von ICON ist nahezu gleichmäßig über die gesamte Erdkugel verteilt, was numerische Vorteile bringt und lokale Verfeinerungen (Nesting) erleichtert.

ICON Global (13 km)

Die globale Version von ICON läuft mit etwa 13 km Auflösung und 90 vertikalen Schichten. Sie wird viermal täglich berechnet und liefert Vorhersagen bis 180 Stunden (7,5 Tage). Die Datenassimilation erfolgt über ein Ensemble-Kalman-Filter-Verfahren (LETKF), das 40 Ensemble-Mitglieder nutzt und besonders gut mit dem ikosaedrischen Gitter harmoniert.

ICON-EU (6.5 km)

Das europäische Nest von ICON verfeinert die Auflösung auf 6.5 km über Europa und den Nordatlantik. Diese Zwischenstufe verbessert bereits deutlich die Erfassung mesoskaliger Phänomene wie Konvergenzlinien, Seewinde oder erste Ansätze von Gewitterzellen. Die Vorhersagedauer beträgt 120 Stunden.

ICON-D2 (2.2 km)

Die hochauflösende Deutschland-Version ist das Arbeitspferd der Kurzfristvorhersage. Mit 2.2 km horizontaler Auflösung und 65 vertikalen Schichten kann D2 konvektive Prozesse explizit auflösen - Gewitter werden nicht mehr parametrisiert, sondern direkt berechnet. Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu gröber auflösenden Modellen.

Konvektion-erlaubende Auflösung: Ab etwa 3 km Auflösung können Modelle Gewitter direkt simulieren statt sie zu parametrisieren. Dies verbessert dramatisch die Vorhersage von Starkniederschlägen, Hagel und Gewitterlinien. ICON-D2 gehört zu dieser Kategorie "konvektion-erlaubender" Modelle.

ICON-D2 wird achtstmal täglich neu gestartet (alle 3 Stunden), wobei die Hauptläufe um 03, 09, 15 und 21 UTC mit 48 Stunden Vorhersage laufen. Die Zwischenläufe liefern 27-Stunden-Vorhersagen. Diese hohe Updatefrequenz macht D2 ideal für die Nowcasting-Unterstützung.

Schweizer ICON-Varianten

MeteoSchweiz betreibt eigene ICON-Konfigurationen mit speziellen Anpassungen für den Alpenraum. Die Physik-Parametrisierungen wurden für steiles Gelände optimiert, insbesondere die Behandlung von Hangwinden und Schneedeckenprozessen.

ICON-CH2 (2 km): Deckt die Schweiz und angrenzende Alpenregionen ab. Das Modell wird zweimal täglich berechnet und liefert Vorhersagen bis 33 Stunden. Die Modellphysik wurde speziell für alpine Bedingungen angepasst, mit verbesserter Schneeschmelz-Parametrisierung und Berücksichtigung der Schneealbedo. Das macht CH2 besonders wertvoll für Schneehöhenprognosen.

ICON-CH1-EPS (1.1 km): Das ultra-hochauflösende Ensemble-System mit 11 Mitgliedern läuft achtmal täglich - eine beeindruckende Updatefrequenz für diese Auflösung. Jedes Mitglied startet mit leicht veränderten Anfangsbedingungen und Physik-Parametern. Dies ermöglicht probabilistische Vorhersagen auch für lokale Phänomene wie Talwinde oder kleinräumige Gewitter.

AROME - Der französisch-europäische Spezialist

AROME (Application of Research to Operations at MEsoscale) wurde von Météo-France entwickelt und wird heute im Rahmen des ACCORD-Konsortiums von vielen europäischen Wetterdiensten genutzt, darunter auch die ZAMG/GeoSphere Austria. Das Modell basiert auf dem Aladin-System, nutzt aber die nicht-hydrostatische Dynamik von Meso-NH.

Mit 2.5 km Auflösung über Mitteleuropa und 90 vertikalen Schichten gehört AROME zu den detailliertesten operationellen Modellen. Eine Besonderheit ist die sehr ausgefeilte Mikrophysik mit einem 2-Momenten-Schema für Wolkentröpfchen und Eiskristalle. Das bedeutet, dass nicht nur die Masse, sondern auch die Anzahl der Hydrometeore prognostiziert wird - wichtig für realistische Niederschlagsraten.

Die Datenassimilation in AROME nutzt 3D-Var im Rapid Update Cycle: Alle drei Stunden wird eine neue Analyse erstellt, wobei besonders hochauflösende Beobachtungen wie Radar-Reflektivitäten und GPS-Wasserdampf assimiliert werden. Diese häufigen Updates machen AROME zu einem der aktuellsten verfügbaren Modelle.

AROME Besonderheiten:

  • Exzellente Niederschlagsvorhersage durch fortschrittliche Mikrophysik
  • Sehr gute Erfassung von Nebel und tiefen Wolken
  • Realistische Darstellung von Kaltluftseen in Tälern
  • 8 Updates täglich (alle 3 Stunden)
  • Spezielle Turbulenzparametrisierung für stabile Schichtung

GFS - Der amerikanische Gigant

Das Global Forecast System der amerikanischen NOAA/NCEP ist das einzige vollständig frei verfügbare globale Modell mit allen Daten. Mit etwa 25 km Auflösung (T574) und 127 vertikalen Schichten ist es gröber als IFS, wird aber viermal täglich berechnet und reicht bis 384 Stunden (16 Tage) in die Zukunft.

GFS verwendet eine semi-Lagrangesche Dynamik mit spektraler Horizontaldarstellung, ähnlich wie IFS, aber mit einigen wichtigen Unterschieden in der Physik. Die Konvektionsparametrisierung basiert auf einem vereinfachten Arakawa-Schubert-Schema, die Grenzschichtparametrisierung auf einem Eddy-Diffusions-Massfluss-Ansatz.

Die Datenassimilation erfolgt über ein 4D-Ensemble-Var-Hybrid-System mit 80 Ensemble-Mitgliedern. Dies kombiniert die Vorteile der Ensemble-Kalman-Filter mit der 4D-Variationsanalyse. Besonders hervorzuheben ist die aggressive Nutzung von Satellitendaten - GFS assimiliert mehr Satellitenkanäle als die meisten anderen Modelle.

Warum ist GFS wichtig? Trotz der groben Auflösung liefert GFS oft wichtige Zusatzinformationen. Es reagiert manchmal schneller auf Veränderungen in der Großwetterlage und kann als "Second Opinion" wertvolle Hinweise geben, besonders bei ungewöhnlichen Wetterlagen.

Spezialmodelle für die Alpen

ICON 2I - Das italienische ICON mit 2 km Auflösung

Italien betreibt mit ICON 2I eine eigene hochauflösende Version des ICON-Modells mit etwa 2 km horizontaler Auflösung. Dieses Modell ist speziell auf den italienischen Raum und die Südalpen zugeschnitten. Die Anpassungen betreffen insbesondere die Behandlung mediterraner Wetterlagen und die Parametrisierung von Staueffekten an den Südalpen.

ICON 2I ist bei Südstaulagen oft eine wertvolle Ergänzung zu den anderen Modellen. Es erfasst die komplexen Strömungsmuster bei Genuatiefs und Adriatiefs besonders gut, da es mit italienischen Radardaten und einem dichten Messnetz aus Norditalien gefüttert wird. Die Modellphysik wurde speziell für die steilen Südhänge der Alpen optimiert, was zu realistischen Niederschlagsverteilungen in den Karnischen Alpen und Karawanken führt.

MOLOCH - Der Südstau-Spezialist

Das italienische MOLOCH (MOdello LOCale in Hybrid coordinates) wurde vom ISAC-CNR speziell für den komplexen Alpenraum entwickelt. Mit 2.2 km Auflösung über den Südalpen und speziellen Anpassungen für steile Topografie ist es bei Südstaulagen oft unschlagbar.

MOLOCH verwendet hybride Höhenkoordinaten, die dem Terrain folgen - ideal für Gebirgsregionen. Die Niederschlagsphysik wurde anhand jahrzehntelanger Messungen in den italienischen Alpen kalibriert. Das Modell berücksichtigt auch orographische Wellen und Leewellen explizit, was für Föhnprognosen wichtig ist. Auf Tauernwetter stehen beide MOLOCH-Varianten zur Verfügung: die Standard-Version und MOLOCH-ISAC mit leicht unterschiedlicher Physik-Konfiguration.

Tauernwetter Nowcasting

Für die ultrakurzfristige Vorhersage bis 180 Minuten bietet Tauernwetter speziell für Kärnten und Osttirol optimierte Nowcasting-Systeme. Diese kombinieren aktuelle Radar- und Satellitenbeobachtungen mit hochauflösenden Modellprognosen und sind perfekt auf die komplexe Topografie unserer Region abgestimmt. Drei Nowcast-Parameter stehen zur Verfügung:

  • Niederschlags-Nowcast: Basiert auf Radarextrapolation und wird alle 5 Minuten aktualisiert. Besonders wertvoll für die Verfolgung von Niederschlagsgebieten und Gewitterzellen über Kärnten und Osttirol.
  • Wind-Nowcast: Kombiniert lokale Stationsmessungen mit AROME-Kurzfristprognosen für realistische Windfelder in den komplexen Tälern und an den Pässen unserer Region.
  • Temperatur-Nowcast: Nutzt das dichte Stationsnetz in Kärnten und Osttirol und berücksichtigt lokale Effekte wie Kaltluftseen im Gailtal oder Inversionen im Drautal.

Diese Nowcasting-Produkte sind besonders wertvoll für die Überbrückung zwischen aktuellen Beobachtungen und Modellprognosen. Sie erfassen schnelle Änderungen in unserer alpinen Region, die selbst hochauflösende Modelle erst im nächsten Lauf berücksichtigen können.

Ensemble-Vorhersagen: Unsicherheit quantifizieren

Deterministishe Vorhersagen geben nur eine mögliche Zukunft an. Ensemble-Vorhersagen hingegen berechnen viele Szenarien mit leicht veränderten Anfangsbedingungen und Modellphysik. Dies quantifiziert die Vorhersageunsicherheit.

Das ECMWF-Ensemble (ENS) mit 51 Mitgliedern gilt als Referenz. Jedes Mitglied startet mit leicht gestörten Anfangsbedingungen, die die Analyseunsicherheit repräsentieren. Zusätzlich werden stochastische Störungen in der Modellphysik angewendet (SPPT - Stochastically Perturbed Parametrization Tendencies), um Modellunsicherheiten abzubilden.

ICON-D2-EPS läuft mit 20 Mitgliedern bei 2.2 km Auflösung - eine beachtliche Rechenleistung. Die Störungen werden aus dem globalen ICON-Ensemble herunterskaliert und mit lokalen Störungen der Bodenfeuchte und Oberflächentemperatur ergänzt.

Ensemble-Interpretation: Die Streuung der Ensemble-Mitglieder zeigt die Vorhersageunsicherheit. Enge Bündel bedeuten hohe Konfidenz, große Streuung zeigt unsichere Wetterlagen. Wichtig: Auch bei geringer Streuung können systematische Fehler auftreten!

Künstliche Intelligenz: AIFS - Das neue KI-Modell des ECMWF

Die neueste Generation von Wettermodellen basiert auf maschinellem Lernen. ECMWF's AIFS (Artificial Intelligence Forecasting System) wurde mit jahrzehntelangen Reanalysen trainiert und kann Vorhersagen in Sekunden statt Stunden berechnen.

AIFS nutzt ein Graph Neural Network mit Attention-Mechanismen, trainiert auf 40 Jahren ERA5-Reanalysen. Es prognostiziert die wichtigsten atmosphärischen Variablen auf 6 Druckflächen mit etwa 25 km Auflösung. Die Vorhersagequalität erreicht für viele Parameter bereits das Niveau von IFS, bei drastisch reduzierter Rechenzeit.

Der große Vorteil: KI-Modelle können hunderte Ensemble-Mitglieder in Minuten berechnen. Der Nachteil: Sie extrapolieren schlecht auf noch nie dagewesene Wetterlagen und haben Probleme mit Extremereignissen, die in den Trainingsdaten selten waren. Auch fehlen detaillierte Oberflächenparameter wie Niederschlagsart oder Sichtweite. Auf Tauernwetter ergänzt AIFS die physikalischen Modelle als zusätzliche Informationsquelle, besonders für die erweiterte Mittelfrist.

Vergleichstabelle der wichtigsten Modelle

Modell Auflösung Gebiet Updates Vorhersage Besondere Stärken
ECMWF IFS 9 km Global 4x täglich 240h (00/12z), 144h (06/18z) Mittelfrist, Zugbahnen
ICON Global 13 km Global 4x täglich 180h Stabilität, Verfügbarkeit
ICON-EU 6.5 km Europa 4x täglich 120h Balance Auflösung/Reichweite
ICON-D2 2.2 km Mitteleuropa 8x täglich 48h Gewitter, Nowcasting
AROME 2.5 km Mitteleuropa 8x täglich 60h Niederschlag, Nebel
ICON-CH2 2 km Alpen 2x täglich 33h Alpine Prozesse
ICON-CH1-EPS 1.1 km Schweiz+ 8x täglich 33h Lokale Details
GFS 25 km Global 4x täglich 384h Langfrist, frei verfügbar
ICON 2I 2 km Italien/Südalpen 2x täglich 48h Südstau, mediterrane Lagen
MOLOCH 2.2 km Italien/Südalpen 2x täglich 48h Südstau-Spezialist
AIFS 25 km Global 2x täglich 360h Schnelle Berechnung

Physikalische Parametrisierungen - Das Herzstück der Unterschiede

Die größten Unterschiede zwischen Wettermodellen liegen oft nicht in der Auflösung, sondern in den Parametrisierungen - mathematischen Beschreibungen physikalischer Prozesse, die nicht explizit aufgelöst werden können.

Konvektionsparametrisierung

Bei Auflösungen gröber als 3-4 km müssen Gewitter parametrisiert werden. ECMWF IFS nutzt ein modifiziertes Tiedtke-Schema mit CAPE-Closure, GFS das vereinfachte Arakawa-Schubert-Schema. Diese Unterschiede führen zu verschiedenen Niederschlagsverteilungen bei Gewitterlagen.

ICON-EU verwendet das Tiedtke-Bechtold-Schema, aber mit einer skalenabhängigen Formulierung: Je höher die Auflösung, desto weniger greift die Parametrisierung ein. Dies ermöglicht einen sanften Übergang zu den konvektion-erlaubenden Versionen.

Mikrophysik

Die Mikrophysik beschreibt Wolken- und Niederschlagsprozesse. Einfache Schemata unterscheiden nur zwischen Wolkenwasser und Niederschlag, komplexe zwischen Wolkentropfen, Regentropfen, Eiskristallen, Schnee, Graupel und Hagel. AROME's 2-Momenten-ICE3-Schema gehört zu den ausgereiftesten, ICON-D2 nutzt ein 2-Momenten-Seifert-Beheng-Schema.

Grenzschichtparametrisierung

Die planetare Grenzschicht - die untersten 1-2 km der Atmosphäre - wird durch Turbulenz dominiert. ECMWF nutzt ein EDMF-Schema (Eddy Diffusivity Mass Flux), das turbulente Diffusion mit organisierten Aufwinden kombiniert. ICON verwendet ein modifiziertes Mellor-Yamada-Schema, AROME ein prognostisches TKE-Schema (Turbulent Kinetic Energy).

Warum das wichtig ist: Die Grenzschichtparametrisierung bestimmt, wie gut ein Modell Nebel, Inversionen und die tägliche Temperaturentwicklung vorhersagt. Für Täler in Kärnten mit häufigen Kaltluftseen ist dies entscheidend.

Strahlungsparametrisierung

Die Berechnung der Sonneneinstrahlung und Wärmeabstrahlung ist rechnerisch aufwendig. Die meisten Modelle berechnen Strahlung nur alle 15-60 Minuten. ECMWF's RRTMG-Schema berücksichtigt 140 Spektralbänder, ICON's RRTM nur 30. Dies beeinflusst besonders die Temperaturprognose bei Bewölkungsänderungen.

Postprocessing - Die Veredelung der Rohdaten

Rohmodelloutput enthält systematische Fehler. Postprocessing-Verfahren korrigieren diese und erzeugen nutzerfreundliche Produkte. Auf Tauernwetter kommen verschiedene Techniken zum Einsatz:

Snowgrid: Ein komplexes System, das Schneehöhen aus verschiedenen Modellen mit Stationsmessungen und Satellitendaten kombiniert. Es berücksichtigt lokale Effekte wie Windverfrachtung und Schneeschmelze, die kein Modell direkt auflösen kann.

MOS (Model Output Statistics): Statistische Beziehungen zwischen Modelloutput und Beobachtungen werden über Jahre gelernt und zur Korrektur angewendet. Besonders effektiv für Temperatur und Wind an Stationsstandorten.

Nowcasting-Blend: Für die ersten 3 Stunden werden Modelldaten mit Radar- und Satellitenextrapolation kombiniert. Auf Tauernwetter stehen spezielle Nowcast-Produkte für Kärnten und Osttirol für Niederschlag, Wind und Temperatur zur Verfügung (0-180 Minuten). Das Gewicht verschiebt sich kontinuierlich von den Beobachtungen zum Modell.

Die Grenzen der Vorhersagbarkeit

Edward Lorenz entdeckte 1963 die fundamentale Grenze der Wettervorhersage: Der Schmetterlingseffekt. Kleinste Unsicherheiten in den Anfangsbedingungen wachsen exponentiell an. Nach etwa 14 Tagen ist jede deterministische Vorhersage nicht besser als Klimatologie.

Diese Grenze verschiebt sich nur langsam: Pro Jahrzehnt gewinnen wir etwa einen Tag Vorhersagbarkeit. Heute sind 7-Tage-Vorhersagen so gut wie 5-Tage-Vorhersagen vor 20 Jahren. Regional und für bestimmte Wetterlagen variiert die Vorhersagbarkeit stark: Stabile Hochdrucklagen sind bis 10 Tage vorhersagbar, Gewitterlagen oft nur 6-12 Stunden im Detail.

Praktische Tipps zur Modellnutzung

Die Hierarchie-Regel

Nutzen Sie Modelle hierarchisch: Globale Modelle (IFS, GFS) für die Großwetterlage, regionale Modelle (ICON-EU) für mesoskalige Strukturen, hochauflösende Modelle (ICON-D2, AROME) für lokale Details. Ein Widerspruch zwischen den Ebenen deutet auf Unsicherheit hin.

Konsistenz prüfen

Vergleichen Sie aufeinanderfolgende Modellläufe: Springt die Prognose hin und her, ist die Wetterlage unsicher. Konsistente Vorhersagen über mehrere Läufe erhöhen das Vertrauen. ECMWF ist oft konsistenter als andere Modelle, kann aber auch konsistent falsch liegen.

Modell-Bias kennen

Jedes Modell hat charakteristische Fehler:

  • GFS: Überschätzt oft Tiefdruckentwicklung, unterschätzt Inversionen
  • ICON-D2: Kann Niederschlag zu kleinräumig darstellen
  • ECMWF IFS: Zu träge bei schnellen Wetterumschwüngen
  • AROME: Neigt zu starker nächtlicher Abkühlung in Tälern
  • Alle Modelle: Unterschätzen Windböen in komplexem Gelände

Ensemble intelligent nutzen

Der Ensemble-Median ist oft besser als einzelne Mitglieder, aber nicht immer: Bei bimodalen Verteilungen (zwei mögliche Entwicklungen) ist der Median physikalisch unsinnig. Schauen Sie sich die Verteilung an, nicht nur Mittelwert und Streuung.

Zukunftsperspektiven

Die Wettervorhersage steht vor einem Paradigmenwechsel. Künstliche Intelligenz wird nicht die physikalischen Modelle ersetzen, sondern ergänzen. Hybride Systeme nutzen KI für schnelle Vorhersagen und Ensembles, während physikalische Modelle Extremereignisse und neue Wetterlagen berechnen.

Die Auflösung wird weiter steigen: Globale Modelle mit 5 km und regionale mit 500 m sind in Reichweite. Dies erfordert Exascale-Computer mit 10^18 Berechnungen pro Sekunde. Der erste europäische Exascale-Rechner wird 2024/25 beim ECMWF installiert.

Gekoppelte Erdsystemmodelle werden Standard: Atmosphäre, Ozean, Meereis, Landoberfläche und sogar Vegetation interagieren. Dies verbessert besonders die Monatsprognose, wo Wechselwirkungen mit dem Ozean wichtig werden.

Fazit: Die Kunst der Modellwahl

Es gibt kein "bestes" Wettermodell - jedes hat seine Stärken und optimalen Einsatzbereiche. ECMWF IFS dominiert die Mittelfrist, ICON-D2 und AROME brillieren im Kurzfristbereich, spezialisierte Alpenmodelle wie die CH-Versionen oder MOLOCH haben regionale Vorteile.

Der Schlüssel zu guten Vorhersagen liegt im Verständnis dieser Unterschiede und der intelligenten Kombination mehrerer Modelle. Auf Tauernwetter stehen Ihnen über zehn verschiedene Modelle zur Verfügung - nutzen Sie diese Vielfalt! Vergleichen Sie, hinterfragen Sie Unterschiede und sammeln Sie Erfahrung, welches Modell in welcher Situation für Ihre Region die besten Ergebnisse liefert.

Die Meteorologie bleibt eine Wissenschaft der Unsicherheiten - aber mit dem richtigen Verständnis der Modelle und ihrer Grenzen können Sie diese Unsicherheit quantifizieren und bessere Entscheidungen treffen. Die perfekte Vorhersage wird es nie geben, aber die Werkzeuge werden immer besser. Nutzen Sie sie weise.